„Ich simse besser als die Kanzlerin“

Veröffentlicht am 15.10.2008 in Bundespolitik
  • Im Interview: Andrea Nahles * Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 12. Oktober 2008
Lafontaine tut so, als ob wir volle Steuerungsgewalt in der Krise hätten Die Finanzkrise erschüttert das Land. Wie haben Sie Ihr Geld angelegt, Frau Nahles? In mein Haus in der Eifel. Sonst habe ich nur noch einen Bausparvertrag - was die Anlageform angeht, bin ich konservativ. Ich klebe an der Scholle. Durch die Finanzkrise müssen Sie sich doch bestätigt fühlen mit Ihrer Kritik am freien Markt. Frohlocken Sie innerlich? Im Gegenteil. Ich mache mir Sorgen. Aber ich sehe auch: Der Kapitalismus frisst seine Kinder. Und er braucht Spielregeln. Ich begrüße den Rettungsplan von Finanzminister Steinbrück und die vorgeschlagenen neuen Regulierungen. Wir sollten aber die deutsche Wirtschaft kurzfristig auch stabilisieren. Die Deutschen sollten mehr Geld in die Hand bekommen - nicht, um es auf die hohe Kante zu legen, sondern um die Wirtschaft anzukurbeln. Wir brauchen eine intelligente Investitionslenkung der Privathaushalte.

Lenkung? Was schlagen Sie vor?
Ich denke an Klimaschecks. Solche Schecks könnte jeder bekommen, der ein Auto kauft, das weniger als sechs Liter Sprit verbraucht. Oder einen sparsamen Kühlschrank. Der deutschen Wirtschaft würde das kurzfristig helfen. Und es würde die Deutschen motivieren, nicht ängstlich zu reagieren und dadurch die Krise noch zu verschärfen.

Klingt nach einem Konjunkturprogramm aus der sozialdemokratischen Mottenkiste. Wie viel soll das den Staat kosten?
Sie irren: Wir legen hier keine alten Schallplatten auf. Diese Initiative sollte nämlich zeitlich begrenzt sein und schnell wirken. Es ist kein plumpes Konjunkturprogramm, sondern nur eine Finanzspritze, die Anreize schafft. Natürlich hätte die Idee keinen Effekt, wenn man dafür nur ein paar hundert Millionen Euro in die Hand nimmt.

Wir sehen: Die Finanzkrise ist frisches Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lässt sich das noch nicht sagen. Sicher ist, dass wir eine Renaissance von Politik erleben. Vielleicht auch eine Renaissance von sozialer, regulierter Marktwirtschaft. Wir haben jetzt ein paar Argumente mehr, warum ein starker Staat nötig ist. Es ist soziale Demokratie, die wir im Weltmaßstab brauchen. Das ist eine Chance für die SPD.

Einst hat Sie Oskar Lafontaine als Gottesgeschenk für die SPD bezeichnet. Können er und seine Linkspartei die Sehnsucht vieler Menschen nach Sicherheit nicht viel besser bedienen als Sie und Ihre Leute?
Der deutsche Sparer mag die geißelnden Worte Lafontaines zwar gut finden, aber wenn er überlegt: Wem vertraue ich mein Sparbuch an, Peer Steinbrück oder Oskar Lafontaine? Dann entscheidet er sich doch für Steinbrück! Der Wortradikalismus der Linkspartei reicht in einer Krise wie der jetzigen nicht. Lafontaine tut so, als ob wir die volle nationale Steuerungsgewalt hätten, um die Krise zu bewältigen - aber Deutschland ist keine Insel!

In Hessen will die SPD mit der Linkspartei zusammenarbeiten . . .
. . . zum Glück geht's da weder um die Finanzkrise noch um die Außenpolitik.

Hessen ist aber ein wichtiges Finanzzentrum in Deutschland. Ist es nicht gefährlich, gemeinsame Sache mit Leuten zu machen, denen man sein Sparbuch nicht anvertraut?
Das entscheidet die hessische SPD. Die klärt jetzt, wie zuverlässig die Linkspartei eine Tolerierung mitträgt. Eine Zusammenarbeit ist sicher nicht leicht, aber ich halte sie für vertretbar. Hessen braucht wieder eine handlungsfähige Regierung.

Alle sagen, Sie seien die stärkste Frau in der SPD. Dabei ist Ihr Favorit Kurt Beck gescheitert. Warum konnten Sie ihn nicht halten?
Moment mal. Kurt Beck hing nie von mir ab. Ich hätte mir gewünscht, dass wir mit Frank-Walter Steinmeier und Kurt Beck ein gutes Team gebildet hätten. Es ist jetzt ein anderes Team geworden.

Sie wollten Kurt Beck noch im Juni als Kanzlerkandidaten.
Das würde ich nie zurücknehmen. Aber die Entscheidung ist gefallen.

Vorsitzender gestürzt, neuer her - alles vergessen?
Ich bin die Letzte, die bagatellisiert, was da passiert ist. Aber ich will nicht denen den Buckel schwer machen, die nun die Verantwortung tragen.

Bis vor kurzem galten Sie noch als so mächtig, dass die Kanzlerin gleich bei Ihnen anrufen wollte.
Zu meiner großen Enttäuschung hat Sie das nie gemacht (lacht).

Hat man Ihren Einfluss überschätzt?
Mit Sicherheit hat man ihn hochgeschrieben. Um Kurt Beck zu schaden.

Das heißt: Sie sind gar nicht so wichtig?
Man sollte sich auf keinen Fall so wichtig nehmen, wie andere Leute es einem einflüstern. Das ist nämlich die erste Stufe, über die man dann stolpert.

Jetzt sind die Schröderianer zurück - eine herbe Niederlage für Sie. Wie wollen Sie und die Parteilinke ihren alten Einfluss zurückgewinnen?

Entscheidend ist: Welche Signale gibt Frank-Walter Steinmeier jetzt? Und welche Franz Müntefering?
Müntefering soll nächstes Wochenende zum Parteivorsitzenden gekürt werden. Sie haben ihn vor drei Jahren gestürzt, als Sie gegen seinen Kandidaten für das Amt des Generalsekretärs angetreten sind. Da kann man sich doch nicht mehr vertrauen.
Das Thema halte ich für erledigt. Wir arbeiten jeden Tag gut zusammen. Und das ist nicht übertrieben. Ich habe keinen Misstrauensvorschuss.

Viele in der SPD sagen, Müntefering sei zu autoritär. Sie glauben, dass er mit 68 Jahren noch einmal ein anderer Mensch geworden ist?
Nein. Aber er hat sehr existentielle Erfahrungen gemacht. Derzeit erlebe ich, dass er intensiv zuhört. Er will dem Kanzlerkandidaten und der SPD maximal nutzen. Natürlich wird er im Wahlkampf straff führen müssen - das ist anders nicht denkbar.

Müntefering kritisiert die Bundeskanzlerin als führungsschwach. Graben Sie jetzt wegen der Erbschaftsteuer in der Koalition das Kriegsbeil aus?
Wenn es zu keiner Einigung kommt, dann ja. Es ist ja nicht so, dass die ganze Union sich querstellt, sondern die CSU. Die CSU tanzt Frau Merkel auf der Nase herum. Ich frage mich, was die eigentlich reitet. Wer reichen Villenbesitzern am Starnberger See was schenkt, muss es Leuten mit weniger Geld aus den Taschen ziehen. Das ist völlig indiskutabel. Allein Bayern würde 800 Millionen Euro verlieren, wenn die Erbschaftsteuer wegfiele. Ich bin jedenfalls bereit, Herrn Seehofer einen Taschenrechner zu geben, wenn er einen braucht.

Die CSU muss Ihnen als Dirndl-Trägerin ja eigentlich gefallen. Sie sind katholisch, halten das Soziale hoch und kommen aus einfachen Verhältnissen in der Provinz. Warum sind Sie nicht bei der Union gelandet?
Zwischen 16 und 19 habe ich mir als freie Mitarbeiterin der "Rhein-Zeitung" alle Parteien genau angeguckt. In unserer Region war mir die CDU, die immer satte Mehrheiten hatte, einfach zu stoffelig. Da fehlten mir Fortschrittsgeist und Feuer. Von meiner Familie habe ich eine Art "Schufter-Ethos" mitbekommen, den Stolz, dass man alles, was man erreichen will, mit eigenen Händen erarbeiten muss. Das hat mich zur SPD geführt.

Sie sind gläubig. Wie wichtig ist das für Sie?
In der Kirche bin ich sehr verwurzelt: Ich war Messdienerin, mein Vater leitet den Kirchenchor, meine Mutter macht die Kasse. Seit meinem 14. Lebensjahr bin ich in einer ökumenischen Jugendgruppe. Das Christsein ist eine Kraftquelle für mich. Wer mein Abstimmungsverhalten zu Spätabtreibungen oder Embryonenschutz betrachtet, wird feststellen, dass ich mich da an den Positionen der katholischen Kirche orientiere. Die gebe ich auch nicht auf, nur weil meine Parteizugehörigkeit etwas anderes vermuten lässt.

In der katholischen Kirche gibt es keine Frauen in der Führung. In der SPD-Spitze sind es auch nicht so viele.
Die SPD sollte die Frauenförderung wieder stärker zum Thema machen, habe ich Franz Müntefering neulich gesagt. Da meinte er: Na, dann mach was! Das war ernst gemeint. So was lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen.

Können Sie nachempfinden, dass Angela Merkel es manchmal schwierig mit den Männern in ihrer Partei hat?
Ja. Und ich finde, dass sie das bisher ganz gut gemacht hat.

Sie simsen auch so viel wie die Kanzlerin.
Ich bin sogar besser. Das ist jetzt statistisch nachgewiesen, dass ich mehr SMS verschicke als Angela Merkel. Der Bayerische Rundfunk hat das neulich abgefragt. Ich lag eindeutig vor ihr (lacht).

Können Frauen das besser?
Ich glaube, wir leiden einfach mehr an diesen langweiligen Sitzungen.

Die Fragen stellten Oliver Hoischen und Markus Wehner.

 

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