Nahles: Die SPD erstarkt über die Länder

Veröffentlicht am 16.09.2011 in Bundespolitik

SPD-Generalsekretärin will keine Koalitionsempfehlung an Sellering geben
Andrea Nahles im Gespräch mit Dirk Müller
Die SPD hat die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern gewonnen. Stärke über die Länder aufzubauen sei der klassische Weg der SPD, sagt ihre Generalsekretärin Andrea Nahles. Auf Bundesebene liege die Partei aber noch nicht stabil über 30 Prozent, weswegen die Sozialdemokraten nicht selbstgefällig werden sollten.

Dirk Müller: Wieder einmal können sich die Sozialdemokraten freuen in diesem Jahr: ein deutlicher Wahlsieg in Mecklenburg-Vorpommern. Anders die CDU: Sie hat fünf Prozent verloren. Noch anders die FDP: Sie scheitert klar an der Fünf-Prozent-Hürde, fliegt raus aus dem Landtag. Jetzt hat Regierungschef Erwin Sellering die Qual der Wahl: Setzt er die Koalition mit der CDU fort, oder wechselt er zu den Linken, die mit 18 Prozent der Stimmen leicht zugelegt haben. Die Sozialdemokraten jedenfalls sind im Aufwärtstrend. Darüber sprechen wollen wir nun mit SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Guten Morgen!

Andrea Nahles: Guten Morgen!

Müller: Frau Nahles, jetzt braucht die SPD nur noch einen Kanzlerkandidaten. Verraten Sie uns welchen?

Nahles: Nein, das braucht die SPD jetzt nicht. Wir brauchen noch weitere Wahlsiege in den Ländern, in Berlin, in Schleswig-Holstein. Wir haben eine gute Strecke vor uns, aber wir müssen sie natürlich auch verwandeln. Die Menschen müssen auch zur Wahlurne gehen. Deswegen sollten wir da auch nicht selbstgefällig sein.

Müller: Sind sie ja auch nicht. Aber viele wollen ja dennoch wissen, wer die SPD künftig führt.

Nahles: Das ist richtig. Dass sich die Leute für den nächsten deutschen Bundeskanzler so interessieren und neugierig sind, das verstehe ich ja. Aber wir werden diese Neugier doch noch etwas auf die Folter spannen müssen, weil wir erst Ende 2012, Anfang 2013 die Entscheidung fällen. Wir haben viele gute Möglichkeiten, wir sind also nicht in Sorge, dass wir da niemanden in Petto hätten. Aber wer es dann ist, das entscheiden wir nicht 2011.

Müller: Aber ich muss Sie etwas fragen, weil ich das häufiger in den Zeitungen gelesen habe, wie auch meine Kollegen. Haben Sie etwas gegen Peer Steinbrück?

Nahles: Ich habe überhaupt nichts gegen Peer Steinbrück. Aber die Frage der Kanzlerkandidatur zwei Jahre vor der Wahl zu treffen, muss man als idiotisch bezeichnen. Aber idiotisch sind wir nicht. Wir machen das genauso wie es sich gehört und werden dann auch den richtigen, oder die richtige Kandidatin finden.

Müller: Also empfehlen Sie Peer Steinbrück, auf Deutsch gesagt, erst mal den Mund zu halten?

Nahles: Es ist erst mal so, dass wir davon doch profitieren, dass viele in Deutschland denken, der nächste Kanzler ist ein Sozialdemokrat. Ich glaube, es ist auch so, dass wir froh sind, dass man uns das, nachdem wir doch eine historische Wahlniederlage 2009 hatten, auch so schnell zutraut. Die jetzige CDU ist als Kanzlerpartei offensichtlich nicht mehr überzeugend und wird das auch nicht mehr schaffen. Aber letztendlich wäre es jetzt dumm, ganz einfach nicht zumutbar für die Person, die es am Ende auch machen soll, in einen Zwei-Jahres-Wahlkampf einzutreten, und deswegen bin ich sehr froh über das Zutrauen dieser Kanzlerkandidaten-Debatte einerseits, aber andererseits halte ich sie auch für verfrüht.

Müller: Steinbrück, Steinmeier, Gabriel, das sind die Personen, die in Frage kommen, alle drei Wahlverlierer. Ist das ein Menetekel?

Nahles: Ich sage, wir haben offensichtlich in der Regierungsverantwortung, speziell in der Krise 2008, mit allen dreien, die Sie genannt haben, aber auch noch mit Olaf Scholz und anderen überzeugt. Die Bewertung, glaube ich, der Leistung der Sozialdemokraten in der letzten Regierung würde heute in der Bevölkerung positiver ausfallen, als sie das 2009 dann per Wahlabstimmung gemacht war. Ich denke, deswegen sollten wir uns jetzt nicht kirre machen lassen. Wir haben das Zutrauen der Leute, man merkt das ja auch in den Wahlen, aber wir sind auf der Bundesebene auch noch nicht stabil über 30 und das brauchen wir, und deswegen sage ich: Arbeiten, auf dem Boden bleiben, sich freuen, dass man wieder Zutrauen hat, aber auch nicht mehr.

Müller: Woran liegt das, Andrea Nahles, dass die SPD diesen Trend, diesen Aufwärtstrend in den Ländern noch nicht umsetzen kann auf die Bundesebene?

Nahles: Das stimmt ja so nicht. Wir haben überall die Umfragen unter 30 Prozent, wir sind aber doch in den Wahlen alle über 30 gelandet. Wir sind auch immer stark geworden über die Länder. Also es ist ein klassischer Weg, erstarken über die Länder. Genau das machen wir jetzt, so dass ich glaube, dass wir 2013 punktgenau diese Stärke, die wir von unten aufbauen und die wir von oben auch versuchen zu verstärken, dann auch auf den Punkt bringen und die Wahlen gewinnen können. Aber wie gesagt, das ist halt eben auch noch zwei Jahre und viele Wählerinnen und Wähler waren in das Nichtwähler-Lager abgerückt. Wir haben bei den letzten Landtagswahlen aus den Nichtwählern für die SPD wieder Wählerinnen und Wähler gewinnen können, aber auch dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Ich würde sagen, wir sind auf einem guten Weg, aber wir sind auch noch nicht da.

Müller: Jetzt strauchelt die Union, jetzt strauchelt die Bundesregierung zusammen mit der FDP vor allem ja in der Euro-Politik. Da hat sie sehr viel Vertrauen verspielt, sehr viel Vertrauen verloren. Jetzt kommen ausgerechnet die Sozialdemokraten mit Blick auf die Euro-Rettungsschirm-Abstimmung im September und sagen, wir machen da auf jeden Fall mit. Warum dieser Blankoscheck?

Nahles: Das ist kein Blankoscheck, aber wir können jetzt hier auch nicht wahltaktische Mätzchen machen. Es geht wirklich um die Stabilisierung von Europa, insbesondere der Euro-Zone, und die Menschen sind sehr verunsichert und die können jetzt mit kleinen taktischen Spielchen gar nichts anfangen. Wir wollen, wir sind eine Europapartei, wir haben immer eine europäische Vision vorangetrieben, aber wir sind auch skeptisch, dass das, was Frau Merkel vorlegt, reicht. Sie hat den Menschen in Deutschland nicht die Wahrheit gesagt, sie hat immer wieder nachlegen müssen, und durch dieses ständige "der Rettungsschirm ist nur so hoch, dann kommt die nächste Marge, ein Rettungsschirm nach dem anderen", das hat ziemlich viel Vertrauen gekostet. Wir wollen dieses Vertrauen mit helfen, wieder aufzubauen, verlangen aber auch von der Bundesregierung ein Gesamtkonzept. Das sehen wir nicht. Wir verlangen auch, dass man über Schuldenschnitt jetzt redet.

Müller: Aber Sie wollen auf jeden Fall zustimmen?

Nahles: Wir werden, wenn die … Wir haben momentan noch nicht alles auf dem Tisch liegen. Aber wir sind grundsätzlich bereit, das Sinnvolle, auch wenn wir es noch für unzureichend halten, zu unterstützen. Das ist klar. Wir sagen aber auch, die Erfahrung mit Frau Merkel und ihrer Politik in Europa lehrt uns, dass das, was sie jetzt vorlegt, wieder zu kurz gesprungen sein wird, und wir hören jetzt die nächsten schrecklichen Nachrichten aus Griechenland. Wir brauchen also einen Schuldenschnitt, eine Umschuldung da auch, kombiniert eben auch mit Euro-Bonds, und auch eine Wirtschafts- beziehungsweise Finanzregierung auf europäischer Ebene, weil anders werden wir es nicht in den Griff kriegen. Und die Trippelschritte, die Frau Merkel hier macht, die reichen nicht.

Müller: Ich muss Sie da an dem Punkt noch mal fragen! Jetzt lesen ja viele interessiert, dass eben auch diese Zustimmungsfront, oder die Zustimmungsmehrheit in der Koalition bröckelt, bei der Union beziehungsweise CDU, auch bei der FDP. Und in dieser Situation kommen ausgerechnet die Sozialdemokraten und bieten Schützenhilfe?

Nahles: Wir bieten nicht Schützenhilfe für diese Regierung, die sich wirklich als unfähig herausgestellt hat, sondern wir wollen nicht noch weiteres Vertrauen zerstören für Europa, aber auch, weil Deutschland so angewiesen ist auf eine stabile Euro-Zone. Wir sind das Land, das davon am meisten profitiert. Wenn Frau Merkel aber keine Kanzlermehrheit zu Stande bekommt, also nicht genügend Stimmen hat, dann muss es Neuwahlen geben. Wir werden also nicht auf Dauer Steigbügelhalter dieser Regierung sein.

Müller: Bei der nächsten Frage, Frau Nahles, sagen Sie bestimmt, das ist alles Ländersache, das ist die Sache von Erwin Sellering. Ich muss Sie das trotzdem fragen. Wenn Sie auf Vertrauen setzen, auf Verlässlichkeit, auf Berechenbarkeit, ist es dann in irgendeiner Form politisch opportun und legitim, in Mecklenburg-Vorpommern mit den Linken zu koalieren?

Nahles: Das ist die Angelegenheit von Erwin Sellering, der sich vor der Wahl dazu sehr klar verhalten hat. Er hat gesagt, er bleibt da offen, er legt sich nicht fest. Wir haben mit beiden Parteien in Mecklenburg-Vorpommern erfolgreich regiert und das entscheiden jetzt die Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern.

Müller: Da haben Sie nichts dagegen, wenn es auf die Linken hinausläuft?

Nahles: Das ist auch schon zu viel gesagt.

Müller: Habe ich nicht verstanden.

Nahles: Das wäre auch schon jetzt ein Ratschlag, auch wenn er noch so indirekt kommt, und das mache ich nicht.

Müller: Also Sie haben nichts dagegen?

Nahles: Noch mal: Das wird jetzt in Gesprächen ermittelt. Das zentrale Ziel der SPD ist es, möglichst viel sozialdemokratische Programmatik in der nächsten Regierung umzusetzen. Wir werden die Standards hoch legen. Die Messlatte liegt nach diesem Wahlsieg, nach diesem Erstarken hoch, weil wir haben ja aus der Regierung heraus noch mal ordentlich zugelegt. Das heißt also, die Leute in Mecklenburg-Vorpommern wollen mehr SPD. Und jetzt gucken wir mal, mit welchem Partner können wir das erreichen. Das ist alles, was ich dazu sagen kann heute.

Müller: Heute Morgen im Deutschlandfunk SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

Nahles: Vielen Dank! Auf Wiederhören!

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Interview von Andrea Nahles im Deutschlandfunk

 

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